Mag sich im neuen Jahr auch einiges ändern, auf eines ist sicher auch im neuen Jahr Verlass: Ob wir uns auf den einschlägigen Business-Social-Media-Plattformen wie XING oder LinkedIn bewegen oder die klassischen Publikationsformen in Zeitungen und Magazinen nutzen, der „All-Präsenz“ von Schlagworten wie „New Work“, „Arbeit 4.0“ oder „agiles Arbeiten“ etc. werden wir uns kaum entziehen können. Dabei sind diese Begriffe und die damit verbundene Aussicht, wie Arbeit in Zukunft gestaltet wird, in der Regel sehr positiv konnotiert; kein Wunder, schließlich verdient inzwischen eine ganze Armada an Unternehmen mit entsprechenden Beratungsdienstleistungen. Diese sind es auch – zumindest so mein Eindruck – die einen Großteil der Veröffentlichungen gerade in den sozialen Medien verantworten. Dort tummeln sich auch ihre potenziellen Kunden.

Die Wahrnehmung der Beschäftigten ist weniger euphorisch

Dumm nur, dass die scheinbar Begünstigten der schönen neuen Arbeitswelt, die Beschäftigten, nicht ausschließlich begeistert auf die Verheißungen reagieren. Laut der Studie „So arbeitet Deutschland – Hält ‚New Work‘ wirklich, was es verspricht?“ der Unternehmensberatung SThree aus 2018 (https://so-arbeitet-deutschland.com/) meinen 63% der Befragten, dass schon heute insbesondere mentale Probleme eine Folge der modernen Arbeitswelt sind, 67% sehen in der Zukunft einen deutlichen Anstieg dieser Probleme aufgrund der neuen Arbeitsweisen. Die Studie macht auch deutlich: Es gibt ein Auseinanderfallen von Erwartungen: Die Beschäftigten wünschen sich mehr Flexibilität für ihre Arbeitsgestaltung, verbinden die Flexibilitätsanforderungen der Unternehmen aber mit Befürchtungen.

Äußern sich Menschen in anonymisierten Befragungen also durchaus differenziert bis kritisch zu dem Thema, so fällt es ihnen in konkreten Arbeitssituationen nach meinen Beobachtungen deutlich schwerer. Ich vermute, es liegt daran, dass die New Work-Bewegung – anders als frühere Management-Moden wie z.B. Lean Management in den 1990er Jahren – sich nicht auf Organisationsfragen beschränkt und in ihren Effekten vornehmlich Managementfunktionen betrifft, sondern den Anspruch hat, die Arbeit der Zukunft für (fast) alle Beschäftigtengruppen zu revolutionieren. Dies geht vielfach weit über Organisationsänderungen hinaus. Ziel ist es – darunter machen wir es heute nicht mehr – eine „Mindset“-Änderung zu erreichen. Da sich Mindset (= Mentalität) aber nicht so leicht ändern lässt, verwundert es nicht weiter, dass insbesondere mentale Belastungen mit New Work verbunden werden (s.o.).

Statt an dieser Stelle innezuhalten und sich zu fragen, ob der Weg überhaupt in die richtige Richtung führt, verstärken die New Work-Propagandisten die Verve, mit der es die schöne neue Arbeitswelt zu vermitteln gilt. Entsprechend wird das Thema in vielen Unternehmen mit einer quasi-religiösen Inbrunst vertreten. Spätestens hier wird es für den Einzelnen kritisch. Entweder er folgt als Jünger den „New Work Evangelisten“ oder er läuft Gefahr, sich seine kritische Distanz mit dem Vorwurf der Häresie zu erkaufen. Insoweit ist New Work längst im Stadium der Orthodoxie angekommen. Und wie in jeder Orthodoxie sind Menschen, die nicht uneingeschränkt „Hurra!“ schreien, nicht einfach nur Skeptiker, sondern Häretiker. Nun werden diese heute nicht mehr auf Scheiterhaufen verbrannt; das „Ausschalten“ der Widerständler erfolgt subtiler: Man wird einfach nicht in „agile“ Projekte und „New Work Initiativen“ einbezogen, bestenfalls werden ein paar Foren zum Mitdiskutieren bereitgestellt. Grundsatzfragen, z.B. ob agiles Arbeiten überhaupt eine zur Situation passende Perspektive ist (vgl. DBVC-Positionspapier 02 „New Work und Agilität“; http://www.dbvc.de/service/downloads/positionspapiere.html), sind meist nicht opportun.

Die New Work-Begeisterung ist damit ein aktuelles Beispiel für – wie wir oben gesehen haben – verschärfte Bedingungen, unter denen es mit erheblichen individuellen, psychologischen Kosten verbunden sein kann, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren.

Wie kommt der Einzelne mit den New-Work-Anforderungen klar?

Dies führt zu der Frage, welche innerpsychischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Beschäftigte selbstfürsorgliche Distanz wahren und (nicht-anonymisiert) Befürchtungen äußern können bzw. mit den Konsequenzen der Nicht-Opportunität klar kommen? Aus Coaching-Perspektive schließt sich die Frage an, wie man als Coach seine/n Coachee diesbezüglich unterstützen kann.

Seelisches (und damit verbunden auch körperliches) Wohlbefinden hängt maßgeblich daran, dass Menschen ihre (echten!) psychischen Bedürfnisse kennen und in angemessener Weise regulieren können (vgl. Metatheorie der Veränderung (MdV) (https://metatheorie-der-veraenderung.info/wpmtags/beduerfnisregulation/). Grundbedürfnisse im Modell der MdV sind Bindung, Selbstbestimmung und Selbstachtung. Diese sind polar organisiert. Bindung äußert sich als Nähe und Distanz, Selbstbestimmung als Sicherheit und Freiheit, Selbstachtung als Zugehörigkeit und Einzigartigkeit. Polar organisiert meint, dass die Befriedigung eines Bedürfnis-Pols, z.B. Freiheit, immer auch die zumindest temporäre Frustration des anderen Pols, hier Sicherheit, bedeutet. Gute Bedürfnisregulation bedeutet, dass man, um ein Bedürfnis zu befriedigen, temporär ein anderes Bedürfnis hemmen kann, ohne darunter zu leiden.

Wenn jemand nun – wie oben skizziert – im Unternehmen organisationalen Erwartungen ausgesetzt ist („Entweder Sie sind mit Begeisterung bei der New Work-Initiative dabei oder sie sind „raus“!“), kommen mindestens zwei Bedürfnis-Pole schnell unter Druck, die für die innere Unabhängigkeit maßgebend sind: das Freiheits- und das Zugehörigkeitsbedürfnis. Das „Raus“ kann zu Unsicherheits-Fantasien führen („Wie sicher ist eigentlich mein Arbeitsplatz, wenn ich da nicht mitmache?“). Das Sicherheitsbedürfnis kommt dann in den Vordergrund und kann dazu führen, das Freiheitsbedürfnis hintanzustellen. Auch wenn nicht gleich der Verlust des Arbeitsplatzes befürchtet wird, so stellt sich schnell die Sorge ein, nicht mehr Teil der (tonangebenden) Gruppe zu sein. Hier meldet sich das Zugehörigkeitsbedürfnis mit deutlichen Zweifeln, inwieweit man seinem Wunsch nach Einzigartigkeit („Ich beziehe eine (abweichende) Position.“) in dieser Situation nachgehen sollte.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Temporär einen Bedürfnis-Pol zu Lasten des anderen zu hemmen ist an sich nicht nur unproblematisch, sondern funktional. Schwierig wird es, wenn Menschen innerlich nicht mehr die Wahlfreiheit haben, dieses oder jenes zu tun. Wenn Anforderungen von außen kategorisch daherkommen („nicht dafür sein heißt, dagegen zu sein“), wird diese innere Wahlfreiheit vor besondere Herausforderungen gestellt.

Wie Coaching unterstützen kann

Bedürfnisregulation ist eine hoch voraussetzungsreiche Angelegenheit und braucht innerseelische Kompetenzen. Um einzigartig zu sein, braucht es u.a. Angsttoleranz im Hinblick auf Kritik, Ablehnung und Ausgeschlossen werden. Um frei zu agieren, braucht es z.B. Risikobereitschaft und Emanzipation gegenüber Konventionen (wie jener, sich gefälligst einzureihen, wenn das doch alle andere auch machen). Wahlfreiheit heißt auf der Ebene des Bewusstseins, sich darüber klar zu werden, was einem wirklich wichtig ist. Auf der Ebene des Unbewussten heißt es, die eigenen Ängste zu kennen, die einen daran hindern, sich freier von (überzogenen) Sicherheitsansprüchen oder vom (das Angepasst sein goutierenden) Wohlwollen anderer zu machen.

Coaching hat dann die Aufgabe, Menschen bei der „Suche nach sich selbst“ auf beiden Ebenen zu helfen. Coachees in der Entwicklung einer selbstbestimmten und selbstachtenden Haltung zu unterstützen, ist in Zeiten von eingeforderter New Work-Gläubigkeit besonders wertvoll.

Und im Übrigen: Mit dieser Haltung kann der Einzelne auch die wirklichen „Benefits“, die New Work und Agilitätskonzepte mit sich bringen, willkommen heißen, ohne sich dazu genötigt zu fühlen.